Dürfen religiöse Symbole verboten werden?

07.12.2016  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Goethe-Universität Frankfurt am Main.

Podiumsdiskussion des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität am 12. Dezember 2016 zum Thema „Religiöse Praktiken und Symbole: Grenzen der Toleranz?“

„Religiöse Praktiken und Symbole: Grenzen der Toleranz?“ So lautet der Titel einer Podiumsdiskussion des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität. Sie findet am 12. Dezember um 19 Uhr statt. Ort ist das Casino-Gebäude (Raum 1.801) auf dem Frankfurter Campus Westend. Teilnehmende von Seiten des Exzellenzclusters sind Susanne Schröter, Ethnologie-Professorin und Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam am Exzellenzcluster, sowie Rainer Forst, Co-Sprecher des Clusters und Professor für Politische Theorie und Philosophie. Hinzu kommt Rudolf Steinberg, emeritierter Professor für öffentliches Recht und ehemaliger Präsident der Goethe-Universität. Die Moderation liegt in den Händen von Rebecca Caroline Schmidt, Geschäftsführerin des veranstaltenden Forschungsverbundes.

Die öffentliche Veranstaltung hat ihren Fokus auf den jüngsten Debatten über muslimisches Leben in Deutschland. Gleichwohl ist auch Platz für die Thematisierung christlicher Symbole wie beispielsweise des Kruzifixes, dessen Anbringung in staatlichen Klassenzimmern laut Bundesverfassungsgericht gegen die Religionsfreiheit verstößt. Die Frage, ob und inwiefern der Islam zu Deutschland gehöre, wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Öffentlicher Dissens entzündet sich wiederum vor allem auch an religiösen Symbolen, am Standort einer Moschee und der Höhe des Minaretts, am Kopftuch und besonders an der Vollverschleierung durch die Burka oder den Niqab. Jüngsten Umfragen zufolge würde es jeder zweite Bundesbürger begrüßen, wenn das Tragen des Kopftuches in der Schule grundsätzlich verboten würde. Und mehr als 80 Prozent sprechen sich für ein generelles Verbot der Burka – unter diesem Begriff wird der Vollschleier allgemein diskutiert – in der Öffentlichkeit aus.

In Deutschland hatten einige Landesgesetzgeber Lehrerinnen das Tragen eines Kopftuches in staatlichen Schulen verboten und damit, wie Kritiker meinten, in einer Art „Abendlandklausel“ christliche Symbole und Zeichen privilegiert. In der Folge nahm sich das Bundesverfassungsgericht zweimal des Themas an. In seiner jüngsten Entscheidung aus dem vergangenen Jahr stellte es klar, dass ein pauschales Kopftuchverbot für Lehrkräfte in öffentlichen Schulen mit der Verfassung nicht vereinbar ist. In Frankreich dagegen bleibt das Kopftuch im Unterricht nicht nur für Lehrerinnen, sondern auch für Schülerinnen untersagt. Darüber hinaus gilt dort seit 2010 ein generelles Verbot, mit einem Gesichtsschleier in der Öffentlichkeit aufzutreten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte 2014 fest, dass das dieses Verbotsgesetz nicht gegen das in der Europäischen Menschenrechtskonvention festgeschriebene Recht auf Religionsfreiheit verstößt.

Obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages schon Ende 2014 zu dem Ergebnis gekommen war, dass trotz der Entscheidung des EGMR ein Burka-Verbot mit der deutschen Verfassung nicht vereinbar wäre, forderten Politiker von CDU und CSU unlängst noch ein generelles Burka-Verbot. Mit dem Hinweis des Bundesinnenministers, man könne nicht alles verbieten, was man ablehne, schien die Debatte zu ruhen. Nach dem Aus für die Burka in den Niederlanden hat der CSU-Generalsekretär seine Forderung nach einem Verbot auch in Deutschland allerdings noch einmal bekräftigt. Gegner und Kritiker der Burka sehen in ihr ein Symbol der Unterdrückung von Frauen. Ähnlich hatte beispielsweise Alice Schwarzer schon gegen das Kopftuch argumentiert, als sie die Entscheidung des Verfassungsgerichts aus dem Jahr 2015 als „lebensfernes“ Urteil kritisierte. Die Vollverschleierung scheint darüber hinaus in besonderem Maße für eine politische Symbolik zu stehen, wobei die Burka – so ist u.a. zu lesen – als „Kampftextil der radikalen Taliban“ gilt und der Niqab als „am weiblichen Körper befestigte Fahne der Salafisten und Wahhabiten“.

Die Diskutanten des anstehenden Plenums sprechen sich gegen ein generelles Burka-Verbot aus – wenngleich aus teilweise variierenden Überlegungen. Der Jurist Rudolf Steinberg referierte bei der Ringvorlesung „Normenkonflikte in pluralistischen Gesellschaften“ des Exzellenzclusters vor rund einem Jahr über „Toleranz und religiöse Pluralität am Beispiel von Kopftuch und Burka“. Hier und an anderen Stellen sprach er von einem „System der Visualität“, auf dem die westliche Welt seit langem gründe. Die Burka-Trägerin entziehe sich der Gegenseitigkeit des sozialen Austausches; sie sehe andere, könne aber selbst nicht gesehen werden. Eine Gesellschaft könne dieses visuelle System als Grundlage einer offenen Bürgergesellschaft rechnen.

„Mit einem derartigen legitimen Gemeinwohlzweck ließe sich ein generelles Burka-Verbot rechtfertigen“, so Steinberg, der allerdings zurzeit ein generelles Verbot des Vollschleiers in Deutschland für unverhältnismäßig hält, weil es zur Abwehr erheblicher Gefahren für das Gemeinwesen nicht erforderlich sei. Anderes gelte in besonderen kommunikativen und sicherheitsrelevanten Bereichen wie Schule und Straßenverkehr. Hier sieht er keine rechtlichen Einwände gegen ein Verbot. Besondere Aufmerksamkeit verdiene die Burka auch im Umfeld des Salafismus, dessen Ideologie auf die Abschaffung unserer freiheitlichen Verfassungsordnung gerichtet sei.

Demgegenüber vertritt der politische Philosoph Rainer Forst die Meinung, dass die Burka-Trägerinnen nicht gegen Grundrechte anderer verstießen, sich aber selbst auf solche berufen könnten. „Ich habe kein Recht auf eine bestimmte visuelle demokratische Kultur“, so Forst. Die Burka sei für uns ein befremdliches Kleidungsstück und eine Kommunikationseinschränkung. Aber das reiche nicht für ein Verbot. Toleranz sei gerade da nötig, wo sie schwer falle.

Die Ethnologin Susanne Schröter weist darauf hin, dass viele Frauen in Deutschland das Kopftuch und auch die Burka aus eigenem Antrieb tragen. Dabei könne es sich um einen Akt der Selbstbestimmung handeln oder aber, besonders bei der Burka und ähnlichen Kleidungsstücken, um ein Zeichen zunehmender Radikalisierung unter Jugendlichen. Weiblichen Mitgliedern in salafistisch-dschihadistischen Bewegungen komme die europäische Debatte um die Burka gerade Recht, da sie sich durch das demonstrative Tragen des ‚Niqab‘ zu religiösen Widerstandskämpferinnen stilisieren könnten.

Von Susanne Schröter aktuell erschienen ist: „‚Gott näher als der eigenen Halsschlagader‘ – Fromme Muslime in Deutschland“ (2016). „Kopftuch und Burka – Laizität, Toleranz und religiöse Homogenität in Deutschland und Frankreich“ heißt die Monographie von Rudolf Steinberg aus dem Jahr 2015. Rainer Forst veröffentlichte 2003 seine grundlegende Studie „Toleranz im Konflikt“. Zu seinen jüngeren Publikationen zählen: „Normativität und Macht“ (2015) und als Co-Herausgeber „Pierre Bayle, Toleranz. Ein philosophischer Kommentar“ (2016).





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