Sexistische Literaturkritik

19.08.2019  — Jasmin Dahler.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Literaturkritik wird hauptsächlich von Männern verfasst. Und diese schreiben grundsätzlich anders über Schriftstellerinnen als über Schriftsteller. Oft widmen sie sich mehr den äußerlichen Charakteristika als dem eigentlichen Werk.

Eine Kampagne unter dem Hashtag „dichterdran“

Die Schweizer Schriftstellerin Simone Meier, die sich bereits für den weiblichen Kulturkanon eingesetzt hat, ruft mit dem Hashtag „dichterdran“ zu einer neuen Kampagne auf und macht auf ein unangenehmes Problem aufmerksam. Ihrer Ansicht nach schreiben männliche Literaturkritiker anders über Autorinnen als über Autoren. Im Zentrum der Buchkritiken und Porträts stünden oft äußerliche Charakteristika anstatt dass eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Werk oder dem Schaffungsprozess stattfindet.

Grund für Simone Meiers Gegenwehr in Form des Hashtags war eine Anfang August erschienene Rezension im Schweizer „Tagesanzeiger“. Der Literatur-Redakteur Martin Ebel besprach dort das Romandebüt der Irin Sally Rooney. Zwar würdigte er das Buch wohlwollend, bedachte die Autorin jedoch auch mit der Beschreibung, sie sehe aus „wie ein aufgeschrecktes Reh mit sinnlichen Lippen.“

Zusammen mit der Germanistik-Doktorandin Nadia Brügger und der Regisseurin Güzin Kar erdachte sich Simone Meier eine Antwort, die mit bissiger Ironie zum Nachdenken anregt. Sie reduzierten männliche Schriftsteller ihrerseits auf bloße Äußerlichkeiten und posteten diese Texte. Zum Beispiel schrieb Simone Meier: „Während die beeindruckende Katja Mann erfolgreich die Fabriken ihres Vaters leitete, kümmerte sich Gatte Thomas liebevoll um die Kinder, daneben schreibt er Bücher.“

Sexismus im Literaturbetrieb

Schriftstellerinnen gibt es viele. Auch schon zur Zeit von Goethe und Schiller. In der Schule und auch im Studium werden sie jedoch selten gelesen. Sie sind oft nur die Frau von jemandem und werden durch ihren Mann charakterisiert.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert etablierten sich die Begriffe „Frauenliteratur“ und „Frauenroman“. Doch was ist Frauenliteratur? Eine Unterkategorie der Literatur, die sowohl belletristische als auch essayistische Literatur von Frauen für Frauen beschreibt. Mit anderen Worten: Frauenliteratur hat wenig mit dem Inhalt des Buches zu tun. Es kann ein Liebesroman oder ein historischer Roman sein. Und obwohl sich mit der Bezeichnung Frauenliteratur schnell Schriftstellerinnen finden lassen, haftet der Bezeichnung ein bitterer Geschmack an. Denn bereits in der Zeit von Goethe galt Literatur von Frauen als weniger wert, da automatisch davon ausgegangen wurde und wird, dass Bücher von Frauen meistens weniger intellektuell wertvoll als die von Männern seien.

Umso erschreckender ist es, dass auch heute noch Schriftstellerinnen auf ihren Körper, auf ihr Aussehen und auf ihr Alter reduziert werden, statt ihre Leistungen und beruflichen Erfolge hervorzuheben. Die kurzen Literaturkritiken, welche sich auf Twitter gesammelt haben, thematisieren zwar mit Humor die Lebensumstände und Kleidung der männlichen Schriftsteller und beschreiben auch immer wieder, dass diese im Schatten ihrer Frauen stünden, ohne die sie nie zum Erfolg gekommen wären, sie üben aber auf diese Art vor allem Kritik an dem sexistischen Mechanismus.

Denn nicht nur Schriftstellerinnen ergeht es so, auch Schauspielerinnen und andere weibliche Personen der Öffentlichkeit müssen die albernen Fragen zum Thema Kinder, kochen, Aussehen etc. ertragen. So wurde Scarlett Johansson in einem Interview zum Avengers-Film gefragt, welche Diät sie gemacht habe, während ihre männlichen Kollegen nach der Schwere und Intensität des Kampf- und Sporttrainings gefragt wurden.

Was muss sich ändern?

Die Art der Berichterstattung ist das Symptom eines gesamtgesellschaftlichen Problems. Bei einer Literaturkritik sollte das Werk im Vordergrund stehen und nicht das Aussehen des Autors oder der Autorin. Insbesondere die Feuilletons großer Tageszeitungen – mit dem Anspruch die intellektuelle Speerspitze der liberalen Gesellschaft zu sein – sollten mit gutem Beispiel vorangehen und nicht in derart überkommene Muster verfallen.

#dichterdran Tweets





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