Neue Hürden für schwerbehinderte AGG-Hopper

11.12.2014  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Taylor Wessing Deutschland.

Eine Entscheidung des BAG nimmt Stellung zu der Frage, wie sich die Verletzung einer Verfahrenspflicht durch den Arbeitgeber auf die Darlegungs- und Beweislast bei Entschädigungsklagen nach § 15 Abs. 2 AGG auswirkt.

I. Einleitung

Öffentliche und private Arbeitgeber haben zahlreiche gesetzliche Verfahrenspflichten bei Stellenausschreibungen in Bezug auf die Berücksichtigung von schwerbehinderten Bewerbern. Zum Beispiel müssen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB IX bei Freiwerden oder Neuschaffung von Arbeitsplätzen „prüfen, ob (diese) mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden können” und dazu „frühzeitig mit der Agentur für Arbeit Verbindung aufnehmen“. Dabei geht es um die abstrakte Prüfung, ob der Arbeitsplatz für Schwerbehinderte geeignet ist. Bei dieser Prüfung sind zudem die Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen und der Betriebs- bzw. Personalrat anzuhören (§ 81 Abs. 1 Satz 6 SGB IX).

Ergibt die Prüfung – wie im Normalfall –, dass der Arbeitsplatz „an sich” mit geeigneten Schwerbehinderten besetzt werden kann, verpflichtet § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX den Arbeitgeber im zweiten Schritt zur Prüfung, ob der Arbeitsplatz mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten Schwerbehinderten besetzt werden kann. Das setzt voraus, dass der Arbeitgeber den freien Arbeitsplatz der Agentur für Arbeit überhaupt erst einmal meldet und fragt, ob die Agentur für Arbeit einen arbeitslos oder arbeitsuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen führt, der für die Stelle geeignet ist.

Nach der bisherigen BAG-Rechtsprechung war allein die Nichteinschaltung der Agentur für Arbeit nach § 81 Abs. 1 SGB IX geeignet, die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu begründen (BAG, Urt. v. 12.09.2006 - 9 AZR 807/05).

II. Sachverhalt

Eine Universität hatte zwei Stellen ausgeschrieben (Communitymanager/in und Gründungsberater/in), auf die sich der spätere Kläger bewarb. In den Stellenausschreibungen wurde darauf hingewiesen, dass Schwerbehinderte bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt werden. Die freien Stellen waren der Agentur für Arbeit jedoch nicht gemeldet worden. Der Kläger war wegen einer Gehbehinderung schwerbehindert. In seinen Bewerbungen wies er auf seine Schwerbehinderung hin und wurde zu Vorstellungsgesprächen eingeladen. In einem der Vorstellungsgespräche, an denen die Schwerbehindertenvertretung teilnahm, wurde er darauf hingewiesen, dass ein Umzug in ein Gebäude ohne Fahrstuhl geplant sei. Der Kläger wurde nicht eingestellt. Die Universität entschied sich bei einer der beiden Stellen für eine Bewerberin mit einem GdB von 30.

Der Kläger machte innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung und damit fristgerecht (vgl. § 15 Abs. 4 AGG) einen Entschädigungsanspruch gegenüber der Universität geltend und berief sich u. a. auf die Nichtbeachtung der Prüf- und Meldepflichten des Arbeitgebers aus § 81 Abs. 1 SGB IX. Außerdem klagte er gemäß § 61b Abs. 1 ArbGG innerhalb von drei Monaten, nachdem er den Anspruch schriftlich geltend gemacht hatte, auf Entschädigung.

III. Entscheidung

Der Kläger hatte mit seiner Klage letztlich keinen Erfolg. Das BAG entschied, dass der Kläger keine ausreichenden Indizien für eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung vorgetragen habe.

Nach § 22 AGG genügt es zwar zur Erfüllung der Darlegungs- und Beweislast, wenn der Kläger Indizien vorträgt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen. Dann trägt der Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Behinderung bei der Entscheidung überhaupt keine Rolle gespielt hat.

Das BAG hat in dieser Entscheidung klargestellt, dass bei der Verletzung von Verfahrens- und Förderpflichten des SGB IX kein Automatismus in dem Sinne gelte, dass schon ein einzelner Verfahrensverstoße ausreiche, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG auszulösen. Vielmehr seien im Sinne einer Gesamtbetrachtung alle Umstände zu berücksichtigen. Auch wenn die Verletzung der Prüf- und Meldepflicht nach § 81 Abs. 1 SGB IX grundsätzlich als Vermutungstatsache geeignet sei, liege im Streitfall nach der durchgeführten Gesamtbetrachtung keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung vor. Dies folge aus dem Hinweis in den Stellenausschreibungen auf die Bevorzugung von Schwerbehinderten bei gleicher Eignung sowie daraus, dass der Kläger trotz Kenntnis der Beklagten von dessen Behinderung eingeladen wurde und die Schwerbehindertenvertretung in das Verfahren einbezogen wurde. Die Gesamtbetrachtung führe dazu, dass die Universität gezeigt habe, an der Bewerbung schwerbehinderter Mitarbeiter interessiert gewesen zu sein. Der Kläger hatte somit keine hinreichenden Indizien dargelegt, die eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung vermuten ließen.

IV. Praxishinweis

Mit der Entscheidung konkretisiert das BAG seine bisherige Rechtsprechung zur Indizwirkung der Verletzung von Verfahrensvorschriften und erhöht die Hürden für schwerbehinderte AGG-Hopper. Bisher hat das BAG bei Verletzung von Verfahrensvorschriften aus § 81 Abs. 1 SGB IX stets angenommen, dass die Kläger damit hinreichende Vermutungstatsachen für eine Benachteiligung dargelegt hätten. Allein durch die Verletzung einer Verfahrensvorschrift wird sich künftig wohl keine Diskriminierungsvermutung mehr begründen lassen, wenn es hinreichend gewichtige Umstände gibt, die gegen eine Benachteiligung sprechen. Die Risiken der vom BAG durchgeführten Gesamtbetrachtung sind jedoch nicht zu unterschätzen. Daher sollten Arbeitgeber die Verfahrensvorschriften des SGB IX einschließlich der Prüfplichten aus § 81 Abs. 1 SGB IX beachten, um im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung keine Angriffspunkte für Entschädigungsklagen nach § 15 Abs. 2 AGG zu liefern.

Urteil des Bundesarbeitsgerichts v. 26.06.2014 - 8 AZR 547/13


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