27.02.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: IBR Immobilien & Baurecht.
BGB § 573 Abs. 1
Wird ein privater Vermieter zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben herangezogen, hat dieser ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung nach § 573 Abs. 1 BGB, wenn er von einer Behörde als Träger öffentlicher Aufgaben – meist in Form eines Verwaltungsaktes – in Anspruch genommen wird und dem Vermieter bei Fortsetzung des Mietverhältnisses Nachteile – beispielsweise in Form von Bußgeldern oder Ersatzvornahme – drohen.
AG Frankfurt/Main, Urteil vom 24.11.2023 – 33 C 2124/21
Die Parteien streiten um die wirksame Beendigung eines Mietverhältnisses über Wohnraum.
Der Beklagte zu 1) mietete mit Vertrag Bl. 5 ff. d.A. gemeinsam mit einer zwischenzeitlich aus dem Vertrag entlassenen Mieterin eine im 1. Obergeschoss des Hauses …Straße 6, Ffn gelegene 3-Zimmer-Wohnung ab 1.2.2005. Es handelt sich hierbei um eine durch öffentliche Mittel geförderte Wohnung. Im Rahmen einer Belegungskontrolle im Juni 2020 stellte die Nebenintervenientin, fest, dass die Exfrau des Beklagten zu 1) im August 2019 aus der unten näher bezeichneten Wohnung ausgezogen ist, und durch den Beklagten zu 1) allein bewohnt wird. Nach einer Anhörung durch die Nebenintervenientin (Bl. 34 f. d.A.) erhielt die Klägerin mit Schreiben vom 17.08.2020 (Bl. 37 ff. d.A.) eine Kündigungsanordnung. Dieser Anordnung kam die Klägerin mit Schreiben vom 15.09.2020 (Bl. 39 f. d.A.) gegenüber dem Beklagten zu 1) nach. Der Beklagte zu 1) bewohnt die Wohnung aktuell mit seiner neuen Ehefrau, der Beklagten zu 2). Ein Wohnungsbewerbungsverfahren des Beklagten zu 1) läuft noch, wobei diesem ein Anspruch auf eine 2-Zimmer Wohnung mit 60 qm zugewiesen wurde (Bl. 104 d.A.). Gegen diesen Bescheid wurde durch den Beklagten zu 1) Widerspruch eingelegt. Ferner befand sich der Beklagte zu 1) in einem Sorgerechtsstreit um eines seiner beiden Kinder, welches am Amtsgericht Frankfurt am Main unter dem Aktenzeichen … anhängig war. Im diesem Verfahren wurde dem Beklagten zu 1) das Sorgerecht für seine beiden Kinder entzogen. Ein Ergänzungspfleger ist gerichtlich bestellt.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe das Mietverhältnis mit dem Beklagten zu 1) mit Schreiben vom 15.09.2020 ordentlich zum 30.6.2021 gekündigt, da ein Fall der fehlbelegten Sozialwohnung vorliege. Die Nebenintervenientin vertritt die Ansicht, dass dem Beklagten zu 1) keine Wohnberechtigung für die im klägerischen Antrag näher bezeichnete Wohnung zustehe. Der Beklagte zu 1) sei, ohne dies der Klägerin mitzuteilen, im August 2009 aus der streitgegenständlichen Wohnung ausgezogen, und mit dem Wegzug seiner Ex-Ehefrau wieder in die unten näher bezeichnete Wohnung eingezogen. Durch den Auszug des Beklagten zu 1) sei die Wohnberechtigung für die streitbefangene Wohnung erloschen. Diese sei auch durch den Wiedereinzug in die streitbefangene Wohnung nicht wieder auf erlebt. Eine neue Wohnungsberechtigung könne aufgrund der Größe der Wohnung für den Beklagten zu 1) nicht gewährt werden.
Die Klägerin und die Nebenintervenientin beantragen, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, die innegehaltene Wohnung …Str- 6. 1. OG/3, 6... F. am M., bestehend aus 3 Zimmern, Küche, Flur, Loggia, Mansarde, Keller, Bad mit WC und Bad mit WC und Badewanne zu räumen und an die Klägerin herauszugeben. Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Sie sind der Auffassung, dass der Beklagte zu 1) keine Kündigung erhalten habe und auch keine Kündigungsgründe bestünden, da dem Beklagten zu 1) eine Wohnberechtigung hinsichtlich der im klägerischen Antrag näher bezeichnete 3-Zimmer Wohnung zustünde. Er bewohne die oben näher bezeichnete Wohnung nun mit seiner neuen Ehefrau, der Beklagten zu 2) (Bl. 65 f. d.A.). Ferner bestünde ein Umgangsrecht mit seinen zwei Kindern, weshalb der Beklagte zu 1) wegen Mehrbedarfs eine Wohnung mit drei Zimmern für Übernachtungen der Kinder benötige (Bl. 115 f. d.A.).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zu der Akte gereichten Schriftsätze und Urkunden verwiesen.
Die zulässige Klage ist begründet. Der Klägerin steht gegenüber den Beklagten ein Anspruch auf Räumung und Herausgabe der der im Tenor näher bezeichneten Wohnung gemäß § 546 Abs. 1, Abs. 2 BGB zu. Die Beklagten haften als Gesamtschuldner gemäß § 431 BGB, da sie eine unteilbare Leistung schulden. Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde das zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 1) bestehende Mietverhältnis mit Schreiben vom 15.9.2021 ordentlich gekündigt. Dieses Schreiben ist dem Beklagten zu 1) auch zugegangen. Das einfache Bestreiten genügt insoweit nicht. Der Beklagte zu 1) hat in seiner schriftlichen Korrespondenz auf den Inhalt des Kündigungsschreibens Bezug genommen und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er von dessen Inhalt Kenntnis erlangt hatte.
Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses im Sinne von § 573 Abs. 1 BGB. Die Kündigung des Mietverhältnisses liegt im öffentlichen Interesse. Schließlich darf die im klägerischen Antrag bezeichnete Wohnung gem. § 4 Abs. 2 HWoBindG nur an solche Wohnungssuchenden zum Gebrauch überlassen werden, die über eine Wohnberechtigung für sozialen Wohnungsbau verfügen. Dass es sich bei der streitbefangenen Wohnung um eine solche handelt, die durch öffentliche Mittel gefördert wird, ist unstreitig.
Eine Wohnberechtigung liegt mit dem Beklagten zu 1) nicht vor. Es steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Beklagte zu 1) aus der streitbefangenen Wohnung im Juli 2009 ausgezogen, und erst im Oktober 2019 wieder in die besagte Wohnung eingezogen ist. Dies folgt aus einem Auszug des Melderegisters der Stadt Fr. am M. (Bl. 98 d.A.). Der Wegzug des Beklagten zu 1) führte zum Erlöschen seiner Wohnberechtigung für die streitbefangene Wohnung. Das Erlöschen hat zur Folge, dass bei jedem Umzug in eine andere Sozialwohnung, auch wenn es die ursprüngliche Wohnung ist, eine neue Wohnberechtigung erforderlich ist.
Steht die Inanspruchnahme des Wohnraums, wie hier, im öffentlichen Interesse, ist für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes im Sinne des § 573 Abs. 1 BGB zunächst danach zu differenzieren, ob der Vermieter selbst eine öffentlich-rechtliche Körperschaft ist oder ein privater Vermieter betroffen ist. Bei der Klägerin handelt es sich um eine private Vermieterin. Wird eine private Vermieterin zur Erfüllung öffentlich-rechtlicher Aufgaben herangezogen, hat diese ein berechtigtes Interesse an einer Kündigung nach § 573 Abs. 1 BGB, wenn sie von einer Behörde als Träger öffentlicher Aufgaben - meist in Form eines Verwaltungsaktes - in Anspruch genommen wird und der Vermieterin bei Fortsetzung des Mietverhältnisses Nachteile - beispielsweise in Form von Bußgeldern oder Ersatzvornahme - drohen. Die Inanspruchnahme wegen Fehlbelegung einer Sozialwohnung durch einen nicht zum Kreis der Wohnberechtigten gehörenden, dient der Erfüllung öffentlicher Aufgaben (OLG Hamm NJW 1982, 2563), sofern die zuständige Behörde vom Vermieter die Kündigung des Mietvertrages verlangt. Mit Schreiben vom 17.8.2020 hat die zuständige Behörde, die Nebenintervenientin, der Klägerin eine Kündigungsanordnung gemäß § 4 Abs. 8 HWoBindG bezüglich der streitbefangenen Wohnung ausgesprochen. Auch handelt es sich hierbei um einen Verwaltungsakt im Sinne des § 35 VwVfG. Der Vortrag des Beklagten, dass ihm im Rahmen des noch laufenden Wohnungsbewerbungsverfahren die streitbefangene Wohnung wieder zugewiesen werden kann, weshalb ein öffentliches Interesse an der Kündigung denkbar entfallen könnte, greift im Ergebnis nicht. Es steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass aktuell kein Umgangsrecht mit den Kindern des Beklagten zu 1) besteht, was einen etwaigen Mehrbedarf von einer 3-Zimmer Wohnung für den Beklagten zu 1) im noch laufenden Wohnungsbewerbungsverfahren rechtfertigen könnte. Dies folgt aus dem Umstand, dass das Familiengericht Frankfurt am Main im Sorgerechtsstreit um die Kinder des Beklagten zu 1), Aktenzeichen …, das Sorgerecht des Beklagten zu 1) entzogen hat. In der mündlichen Verhandlung vom 15.9.2023 führte der Beklagte zu 1) zwar an, dass es nun eine "Regelung" durch den "Vormund" der Kinder gäbe, und diese in der Zwischenzeit wieder bei ihm seien. Auf die Frage, ob das Sorgerechtsverfahren weiter betrieben werde, hat der Beklagte zu 1) jedoch keine Aussagen gemacht, sodass das Gericht von der weiterhin bestehenden Rechtskraft der Entscheidung des Familiengerichts Frankfurt am Main um das Sorgerecht der Kinder des Beklagten zu 1) ausgeht. Weitere Ausschlussgründe für eine Kündigung sind nicht ersichtlich.
Soweit der Beklagte zu 1) die Anordnung eines Ergänzungspflegers vorlegt, hat diese jedenfalls keine Auswirkung auf die Entscheidung der Nebenintervenientin einerseits. Andererseits ändert dies nichts an dem Ausgang des Sorgerechtsverfahrens. Die Kündigungsfrist nach § 573 c BGB endete mit Ablauf des 30.6.2021.
Die Gewährung einer Räumungsfrist gemäß § 721 Abs. 1 ZPO kam nicht in Betracht. Die Umstände, unter denen der Beklagte zu 1) versucht, ein Belegungsrecht zu rechtfertigen sowie die Dauer des Räumungsrechtsstreits lassen die Interessen des Beklagten an einer auch nur kurzfristigen Nutzung der Wohnung hinter denjenigen der Klägerin an einer sofortigen Beendigung der Nutzung zurücktreten. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 ZPO; die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 7, 711, 709 Satz 2 ZPO.
Bild: Romain Dancre (Unsplash, Unsplash Lizenz)